Freitag, 14. März 2014

32. Wiener Brief 2.0

"Zug um Zug"


Ein schöner Aspekt das Mitteilungsbedürfnis in Form von Geschriebenem zu befriedigen, ist es, dass sich niemand in irgend einer Form belästigt fühlen kann, weil man dem Geschriebenen durch Verweigerung des Lesens einfach entgehen kann. Nicht so, wenn das Mitteilungsbedürfnis durch die reine Niederschrift nicht ausreichend befriedigt wird, sondern erst durch den Gebrauch von Sprache eine Form von Erlösung erfährt.


Anbei ein Einakter der die Qualen vor Augen führen soll, die ein unbedarfter Mensch ohne sein zutun erfahren kann.


Das Bühnenbild ist bewusst einfach gehalten und stellt in geeigneter Form ein Abteil der zum Beispiel Österreichischen Bundesbahnen dar. Ein Mann, eine Frau, ein paar Statisten, die aber für das Funktionieren des Stücks nicht notwendig wären.


Der Mann sitzt am Platz direkt vor der Frau und versucht, den Kopf ans Fenster gelehnt, zu schlafen.
Die Frau kramt in ihrer Handtasche und bringt ein modernes Fernsprechgerät (hier könnte man ohne viel von der Geschichte zu verlieren auch durchaus Begriffe wie "Mobile Sprecheinheit" oder "Kommunikationsgerät" verwenden) zum Vorschein. Sie tippt darauf herum und hält sich es schließlich an Ohr und Mund.


--Beginn des Monologs der Frau-- (das Mann hat in diesem Stück keinen Text, was auch ganz bewusst den Bezug zur Realität herstellen soll ;-), der Mann darf aber denken, zumindest hier im Stück)


Frau (ohne erkennbare Gemütslage): "Ich habe da eine Kollegin die schon bald in Pension geht, die sich aber sehr viel mit Natur und so auseinandersetzt. Die sagt, Schilddrüsenprobleme kämen von angestauter Wut im Bauch".


Mann (denkt): -Was zum Teufel (er denkt recht grobschlächtig) hat die Information der bevorstehend Pensionierung mit dem Auseinandersetzen mit der Natur zu tun. Sollte man sich vor der Pensionierung näher mit der Natur beschäftigen, weil man dran und drauf ist sich von ihr zersetzen zu lassen? Und wie kann sich das Gefühl der Wut anstauen und sich physisch manifestieren? Müsste sich dadurch die Problematik der Überbevölkerung nicht schon lange von selbst gelöst haben?-


Frau (bestimmt): "Und ich bin wütend auf dich, weil ich nicht das Gefühl hatte, dass ich das Wichtigste in deinem Leben war"


Mann (denkt): -Aha, er ist Schuld an ihrer Krankheit und das, weil sie nicht das Gefühl hatte, das Wichtigste zu sein. Was aber nicht heißt, dass sie es nicht war. Sie hatte nur eben nicht das Gefühl. Schöner Mist. Der Kerl ist im Arsch (das Grobschlächtige bleibt)-


Frau (Hört offensichtlich ihrem Gegenüber zu, widerwillig, weil die Hand schon merklich zittert und der Mund immer wieder zum Sprechen ansetzen möchte. Das ganze Bild hat etwas von einem Fisch der schon zu viel Zeit an Land verbringen musste.)


Frau (laut und so erbost, dass das Nach-Luft-Schnappen zwischen den Worten deutlich hörbar wird): "Jetzt bist du auch noch auf mich wütend!"


Mann (denkt): -Der arme Kerl, der wahrscheinlich nur versucht hat ein paar Dinge klarzustellen, trägt nun noch intensiver dazu bei, dass sich ihre Krankheit der wütenden Schilddrüse verschlimmert. Vielleicht sollte sie sich auch schon präventiv näher mit der Natur auseinandersetzen.-


Frau (bestimmt): "Nein, nein, nein, das hat damit gar nicht zu tun. Du vermischt schon wieder Sachen."


Mann (denkt): -Ich bin soooo arm, die ganze Welt ist offensichtlich gegen mich und jeder hat Schuld, nur ich nicht. Oje, oje, ojemine-


Frau (sehr bestimmt): "Außerdem kann ich jetzt nicht reden, ich bin im Zug."


Mann (denkt): -Jetzt ist er auch noch daran Schuld, dass sie nicht reden kann, weil sie ihn aus einem vollen Zug aus angerufen hat.-


Mann (grübelt)


Frau, beleidigt: "Ich leg jetzt auf, weil ich eh nicht reden kann." Und beendet das Gespräch.


Mann (schickt in Gedanken ein Dankeschön gen Himmel): -Danke, dass es nicht nur bei der Ankündigung blieb.-


Mann (beginnt ein Lied vor sich hin zu summen): "Eine Zugfahrt die ist lustig, eine Zugfahrt die ist schön" und schläft überrascht von der plötzlichen Stille sofort ein.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen