So, und damit, also dem zweiten Brief, hat sich der Start
der Serie schon gerechtfertigt. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass da noch
der eine oder andere folgen wird.
Die Geschichte der Anreise hab ich im ersten Brief ja schon
ausreichend detailliert beschrieben und zu einem guten Ende geführt. Dass in einem
Urlaub nicht immer alles eitel Wonne ist, wird der heutige Brief zeigen. Nicht
das ihr jetzt glaubt, er hat sich schon am zweiten Tag mit seiner Süßen
gestritten, nein weit gefehlt. Ich berichte heute unter anderem von der
durchaus tückischen Fauna der Insel und der umgebenden See.
Ich als alter Seebär (siehe „Der junge Mann und das Meer“,
erschienen bei BoD und dort käuflich zu erwerben ;-) ) kenne das Meer und sein
Getier ja wie meine Westentasche (dass ich keine Weste in meinem Kleiderschrank
hängen habe bzw. nie eine besessen habe erklärt eventuell das eine oder andere
;-) ). Aber ich muss zugeben, dass ich bei
unsichtbaren Geschöpfen an meine zwar eh sehr großzügig dimensionierten Grenzen
gelange.
Die ganze Geschichte von Anfang an. Um nicht nur auf der
faulen Haut zu liegen und sich rein theoretisch lesend mittels einschlägigen
Fachbüchern fortzubilden, besorgte ich mir vor Ort eine geeignete
Meeresgetierbeobachtungsausrüstung. Im Volksmund auch gerne „Schnorchel“ genannt.
Auf Grund der extrem klaren Wasserverhältnisse war es nicht erforderlich die
gut zwei Tonnen schwere Tauchkapsel anzufordern. Zudem wollte ich nur den
Küstenbereich der Insel wissenschaftlich überarbeiten und nebenbei eine
detaillierte Küstenkarte erstellen.
Die ersten „Tauchgänge“ zur Kalibrierung des „Schnorchels“
verliefen zu meiner vollsten Zufriedenheit und zeigten schon erste schöne Exemplare
der vielerorts ausgestorbenen Tierart „Fisch“. Ich muss das hier unter
Anführungszeichen setzen, da mir klar ist, dass „Fisch“ selbst für Laien (ich
gehe davon aus, dass nur ein geringer Anteil meiner Leser eine Ausbildung im
Bereich der Meeresbiologie hat) eine viel zu oberflächliche Definition ist. Ich
darf hier kurz in mein Spezialgebiet der nautischen Fauna abschweifen und die
Definition ausführen: Die Gattung Fisch teilt sich bis dato in die drei Gruppen
„klein“, „mittel“ und „groß“. In jeder der Gruppen gibt es die Ausprägung „bunt“
und „langweilig“. Macht also insgesamt sechs verschiedene Arten von Fischen (Gedankennotiz
an mich: Wikipedia-Artikel anlegen bzw. überarbeiten).
Um das Ganze hier nicht zu akademisch werden zu lassen,
breche ich hier mit der grauen Theorie ab und fahre mit den Ereignissen meiner
Feldforschung fort. Nach dem ersten zu Wasserlassen und der Dichtigkeitsprüfung
meiner Ausrüstung wagte ich mich in das offene Gewässer und damit zu den im
Meer lauernden Gefahren vor. Da mein Leben in weiterer Folge von der einwandfreien
Funktion meiner Ausrüstung abhängt, teste ich diese in tieferen Gewässern und
tauchte zur Freude meiner Süßen eine Muschel vom Boden des Meeres. Ich hab dem
Meer das Ding quasi entrissen. Zugegeben, die Muschel war nicht groß und sie
war auch unbewohnt und damit ungenießbar, weil ja nur die Verpackung des
Essens, aber es war eine vom Grunde des Ozeans geborgene Schönheit für meine
Schöne.
Jetzt das Ganze nochmal, wie es sich eventuell aus Sicht
eines stummen Beobachter an der Bucht am Sandstrand des Hotels zugetragen hat.
Ein Touri mit neuer Taucherbrille und Schnorchel betritt die Szene und nähert
sich dem Wasser. Ein leicht übergewichtiger Touri wohl gemerkt ;-). Und Weiß
wie Milch ;-). Aus jetzt, das reicht. Ok. Also weiter. Der Touri macht ein paar
Schritte ins Wasser, setzt sich die Taucherbrille auf und schwimmt zirka zwei
Meter bis er sich aufrichtet und versucht seine komplett angelaufene Brille zu
reinigen. Also spukt er rein und versucht erneut zu schnorcheln. Nach weiteren
etwa zwei Metern richtet er sich wieder auf, diesmal deutlich hektischer, da er
offensichtlich Wasser in seinen Schnorchel hat. Aber tapfer spukt er einige
Liter des Meeres wieder in jenes zurück und versucht es ein weiteres Mal. Und
siehe da, streckt er voller Stolz seine Hand mit einer kaum zu erkennenden
Muschel in die Höhe. Und das alles in knietiefem Wasser. Warum der da
schnorchelt und nicht nur ein paar Schritte ins Wasser macht, die Muschel
aufhebt und wieder geht, bleibt dem stummen Beobachter auf ewig verschlossen.
Aber deswegen ist er ja auch nur ein stummer Beobachter.
Die Vorbereitungen für meine Expeditionen sind abgeschlossen
und ich starte meine für mindestens drei Tage angelegte Feldforschung.
Tag 1: Kleine langweilige Fische in Küstennähe, aber dafür unzählige.
Ich nenne das „Schwarm“. Abgeleitet vom Begriff „Schwamm“ weil der auch so viel
Zwischenraum hat. Besteht ja eigentlich nur aus Zwischenraum. Da ich mir
ziemlich sicher bin, dass die noch keinen Namen haben taufe ich die Fische „Sardinen“
nach ihrer offensichtlichen Heimat Sardinen. Minuten später bemerke ich, dass
ich vielleicht etwas voreilig war, weil es da doch noch mehrere verschiedene
Fische gibt, die ebenso keinen Namen haben und auch hier in Sardinien ihre
Heimat haben. Aber egal, wer zuerst kommt, malt zuerst. Eine neue Fischart zu
entdecken und zu taufen sollte für einen Tag reichen und ich feiere meinen
Erfolg bei einem schönen Abendessen mit einer leckeren Fischplatte für zwei.
Tag 2: Ich wage mich weiter und weiter hinaus. Die Sardinen
hab ich mittlerweile hinter mir gelassen, hierher können sie mir einfach nicht
mehr folgen. Und hier treffe ich erstmals auf mittlere langweilige Fische, die
sich in deutlich kleineren Verbänden als es ein Schwarm ist gemeinsam fortbewegen.
Ich nenne die Formation der Einfachheit halber „Familie“. Da brauch ich nicht
lange irgendwelche Neukreationen suchen und bin nicht vom Erforschen des Meeres
abgelenkt. Die Fischfamilie langweilt mich aber rasch und ich mache mich auf
zur Felsküste. Und wie anders als mit sensationell könnte ich meine Entdeckung
beschreiben. Ein einzelner kleiner, langweiliger Fisch. Aber im Unterschied zu
den Sardinen liegt dieser völlig flach am Meeresboden. Und er liegt nicht nur
völlig flach, sondern ist auch völlig flach. Flach wie eine Flunder. Guter Name
denk ich mir und nenn ihn „Flache Flunder“. Natürlich bleibt er in der Gruppe
der kleinen langweiligen Fische, aber er hat mit seinem speziellen Äußeren
einen Ehrenplatz dort. Ich wollte den mittlerweile bereits gut siebenstündigen
Tauchgang bereits beenden und stolpere quasi beim zurückschwimmen über eine
weite Sensation. Ein, zwei, nein mehrere kleine bunte Fische tummeln sich nur
Zentimeter von mir entfernt. Ich habe aber nicht mehr die Kraft mir einen
geeigneten Namen zu überlegen und werde dies morgen nachholen und stärke mich am
Abend bei ein, zwei, nein mehreren Steckerlfischen am Lagerfeuer.
Tag 3: Leider zeigten sich die bunten Fische von gestern
heute nicht mehr. Schade, aber so bekommen sie von mir halt keinen Namen. Sie
werden schon sehen was sie davon haben. Nach diesem doch eher bescheidenen
Start in meinen letzten Forschungstag überschlagen sich auf einmal die
Ereignisse. Nun schon nahe der 20 Meilen Zone entdecke ich eine mir bis dato
völlig unbekannte Fischart, die ich auch so nicht in den bestehen Raster
einordnen kann. Also eröffne ich eine neue Gruppe und bin schon geneigt neben „klein“,
„mittel“ und „groß“ die Gruppe „Stefan“ anzufügen, halte mich aber doch zurück
und nenne sie zur einfacheren Kategorisierung „Füße“. Der neu entdeckte Fisch
bewegt sich nämlich am Meeresboden auf mindestens sechs (6!) zu zwei Gruppen an
jeweils der Seite angeordneten Füßen fort. Sensationell. Und das ist noch nicht
alles. Er bewegt sich nicht vorwärts, sondern läuft konsequent seitlich. Das unterscheidet
ihn auch von seinem landgebundenen Bruder dem Käfer. Die äußeren
Übereinstimmungen sind mehr als überzeugend. Also bekommt er von mir den Namen „Meereskäfer
der nur seitlich läuft“ oder kurz „Krabbe“. Noch habe ich gedanklich nicht mal die
rituellen Taufworte fertig gesprochen durchfährt ein unglaublicher Schmerz
meine Hand. Ich reiße mich zusammen und schaue mich nach der Ursache um, kann
aber nichts erkennen, da meine Augen bereits vor Schmerzen tränen. Ich muss
abbrechen und umkehren. Mit letzter Kraft und unter fast schon unmenschlichen
Schmerzen lege ich die gut zwei Meter zum Ufer wie ein Mann zurück, nämlich
gehend im knietiefen Wasser. Ein unsichtbarer Feind hat mich tatsächlich in die
Knie gezwungen. Mich, den sonst so gut wie nichts erschüttern kann. Aber Ehre
wenn Ehre gebührt. So bekommt auch mein durchsichtiger Widersacher einen ihm
gebührenden Namen von mir. Ich taufe ihn „Qualle“. Das leite sich vom gallertartigen,
übelriechenden, sagen wir’s ruhig wie es ist, unheimlich stinken Käse „Quargel“
ab. Jeder bekommt was er verdient ;-).
Nach einigen Stunden in der Reha-Bar am Strand wurde die
Schwellung am Arm durch konsequentes inneres Kühlen mittels eines einheimischen
Gebräus mit der Bezeichnung „birra“ unter Kontrolle gebracht. Heute erinnert mich
nur noch eine Schramme an meine traumatischen Erlebnisse vor der Küste
Sardiniens.
Aber das war noch nicht die ganze Geschichte der wilden
Natur auf einer kaum erforschen Insel im fernen Mittelmeer. Auch zu Lande
lauern hier quasi hinter jeder Bar Gefahren die man sich in unserer zivilisierten
Umgebung kaum vorstellen kann…
Stefan